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DokumenttypDocTypeRede | Datum29. März 2023Haus der Weimarer Republik

Rede des Bundesministers der Justiz, Dr. Marco Buschmann MdB, im Haus der Weimarer Republik in Weimar

Ich freue mich sehr, hier zu sein; ich freue mich immer, in Weimar zu sein – und ich hoffe, noch vielen Generationen von Deutschen wird das Herz ein bisschen höherschlagen, wenn sie diesen Namen hören, der wie kaum ein anderer Synonym für das kulturelle Erbe Deutschlands ist.

Viele unter Ihnen haben es sich zur Aufgabe gemacht, daran mitzuwirken, dass das so sein wird – und ich wünsche Ihnen dafür allen Erfolg und sage Ihnen im Namen der Bundesregierung auch unsere dauernde und verantwortungsbewusste Unterstützung dabei zu!

Nun hätte ich gerne heute den Erweiterungsbau dieses Hauses, wie geplant, so richtig und rund mit Ihnen eröffnet. Aber am neuen Deutschlandtempo des Planens und Bauens arbeiten wir ja noch.

Einen Eindruck immerhin habe ich gerade erhalten – und es war ein guter! Ich wünsche Ihnen also etwas vorzeitig in Ihren zusätzlichen Räumen ein gutes und erfolgreiches Arbeiten für unsere Erinnerung an die erste deutsche Demokratie!

Es ist ja in diesen Wochen wieder sehr viel Geschichte präsent in unserer deutschen Gegenwart. Und zu dieser Präsenz der Geschichte, und zu den Fragen, die wir uns und die wir an die Geschichte immer wieder stellen, will ich hier ein paar Gedanken vortragen.

Wir befinden uns ja zum einen noch immer in der runden Wiederkehr des wohl wichtigsten Märzes der neueren deutschen Geschichte – dem 175. Jahrestag der deutschen März-Revolution von 1848.

Das waren entscheidende Tage der Revolution: Pressefreiheit, Redefreiheit, freies Versammlungs- und Vereinigungsrecht, gleiche politische Rechte, Geschworenengerichte und Unabhängigkeit des Richterstandes, eine allgemeine deutsche Volksvertretung – die Märzforderungen bleiben Meilensteine der deutschen Demokratie- und Freiheitsgeschichte.

Am Ende scheiterte dieser erste Versuch, einen liberalen und demokratischen deutschen Nationalstaat zu schaffen. Aber es war ein großer und würdiger Versuch in unserer eben nicht immer glänzenden deutschen Demokratiegeschichte.

Das deutsche Geschichtsbewusstsein stellt diesen ersten Versuch stets neben jenen zweiten Versuch, dessen Sie in diesem Haus gedenken. Und zumal in diesem März und in diesem Jahr verwickeln sich die Jahrestage und historischen Erinnerungen zu einem höchst ambivalenten Geflecht.

Die Sehnsucht nach Freiheit ist in dieser Geschichte mit der Erfahrung des Scheiterns verbunden. Der Aufbruch der Demokratie ist mit dem Einbruch von Gewalt und Willkür tragisch verwoben.

Allein am 18. März haben wir an die Berliner Barrikadenkämpfe von 1848 erinnert; aber auch an die deutschen Jakobiner, die an diesem Tag 1793 in Mainz die erste Republik auf deutschem Boden errichteten – und an die erste freie Volkskammerwahl der DDR im Jahr 1990.

Zugleich blicken wir auf das Krisenjahr 1923 vor genau hundert Jahren, in dem sich die Bürden und Bedrohungen der Republik so dramatisch und unheilvoll bündelten.

Und wir erinnerten gerade an den 23. März vor 90 Jahren, als sich im Reichstag die deutsche Volksvertretung, die die Barrikadenkämpferinnen und -kämpfer 1848 unter Einsatz und Opfer ihres Lebens einforderten, mit dem Ermächtigungsgesetz selbst entmachtete.

Zuvor war Hitler die Macht übergeben worden – nachdem es der ersten deutschen Demokratie nicht gelungen war, sich in einer Zwischenkriegszeit schwierigster Umstände und Bedingungen zu behaupten und zu festigen.

Es hatte die Republik von vornherein schwer belastet, dass sie geboren wurde aus einem so fürchterlichen und verlorenen Krieg und aus einer Revolution. Hinzu kamen die Hypothek der Bedingungen des Versailler Friedensvertrages, wirtschaftliche Not an ihrem Beginn und an ihrem Ende, der mörderische rechtsradikale Terror, politische Blockaden durch starke extremistische Ränder links wie rechts und überhaupt die Schwäche der demokratischen, liberalen Mitte. Und hinzu kam eine Verfassung, die mit ihrer Unentschiedenheit zwischen parlamentarischem System und Präsidialsystem Möglichkeiten des Missbrauchs eröffnete und das Ausweichen der Parteien und Fraktionen vor der politischen Verantwortung begünstigte.

Am Ende reichte der Druck eines sich fatal überschätzenden Kreises von Republikgegnern um den greisen Reichspräsidenten, dass dieser Hitler zum Reichskanzler ernannte.

Das klingt alles so zwingend. Aber wir sollten trotz alledem doch auch den Gedanken der Offenheit der Geschichte pflegen. Die Geschichte ist immer offen – darin liegt der Möglichkeitsraum unserer Freiheit als Menschen.

Auch die Weimarer Republik hatte Chancen und hatte ihre Phasen, zumal Mitte der zwanziger Jahre, in denen sie sich stabilisierte und Skeptiker für sich zu gewinnen begann.

Man kann im Rückblick immer sehr gut nachzeichnen, wie es kam, dass es so kam. Aber dafür blendet man die offenen Enden, die ungenutzten Möglichkeiten, die verkümmerten Aufbrüche aus. Es entsteht im Rückblick schnell der falsche Anschein von Notwendigkeit.

Auch auf dem Gebiet der Geschichte verbietet sich aber jeder Schluss vom Sein auf das Sollen.

Kein Hinweis auf die defizitäre Natur des Menschen ist ein Argument gegen die Geltung bestimmter fundamentaler Normen. Und genauso ist eine tatsächlich fatale historische Entwicklung kein Beweis für die Unausweichlichkeit des Fatalismus!

Wir können die Welt zu einem besseren Ort machen!
Wir können aus der Geschichte lernen!

Wir sind uns doch sehr bewusst heute: Die Republik scheiterte, weil die Mentalität der Bürgerinnen und Bürger und die politische Kultur des Weimarer Staates die liberale Demokratie nicht ausreichend stützten und trugen. Die Verfassungsväter von Weimar hatten kein Verfassungsvolk, wie man einmal gesagt hat. Man hielt etwa weithin für möglich und wünschenswert, dass auch in einer Demokratie Politik ohne Parteien gemacht werde.

Letzteres ist ja etwas – ganz offen gesagt –, das wir Deutschen immer noch nicht ganz überwunden haben. Parteien stehen noch immer für den angeblich unschönen Streit und angeblich kleinliche Parteilichkeit. Der Bundespräsident wird geschätzt, sofern und soweit er über den Parteien steht. Und auch Bundeskanzlerin oder Bundeskanzler können für die Deutschen gar nicht präsidial genug sein.

Die Wahrheit aber ist: In einer gesunden Demokratie spiegelt die Interessenvielfalt der Parteien die Vielfalt der Bevölkerung wider. Will die sich repräsentativ verständigen und etwas aushandeln, geht es nicht ohne Streit. Die lebensfremde Idee eines apriorischen und homogenen Volkswillens ist letztlich totalitär. Die Friedhofsruhe des Autoritarismus führt nicht zu Gerechtigkeit. Das kann nur die offene Diskussion. Streit ist die Kehrseite der Freiheit.

Wir haben als Land aus der Geschichte und aus dem Scheitern unserer ersten Demokratie gelernt – und dies von Beginn der Bundesrepublik an. Unser Grundgesetz ist ein Dokument dieser Lektion. Die Demokratie, die 1949 begründet wurde, ist wehrhaft.

Die Verfassungsväter und -mütter haben Sicherungen eingebaut, dass sich die Demokratie nicht selbst abschafft – Sicherungen auch gegen Mehrheiten, und funktionierende Sicherungen gegen verfassungsfeindliche Parteien und Bestrebungen.

Dass unsere Demokratie wehrhaft ist, zeigt sie in diesen Wochen und Monaten gegen die sogenannten Reichsbürger. Der Generalbundesanwalt lässt da keinen Zweifel.

Genauso gehen wir gegen Verfassungsfeindlichkeit in Staatsämtern vor. Polizisten oder Soldaten, die sich extremistisch äußern, dürfen nicht auf Nachsicht hoffen. Ein extremistischer Richter und eine extremistische Richterin werden aus dem Dienst entfernt. Extremisten dürfen auch nicht ehrenamtliche Schöffen werden; das stellen wir gerade gesetzlich klar.

Wir haben Sicherungen gegen die Selbstabschaffung der Demokratie vor allem auch in Form der Gewaltenteilung und einer starken, unabhängigen Justiz.

Ich hatte gerade vor ein paar Wochen die wirklich schwierige Aufgabe, in Israel – in aller gebotenen Demut und Zurückhaltung – an diese Grundgedanken des liberalen und demokratischen Selbstschutzes zu erinnern. Das geschah angesichts einer Justizreform, die, auch nach Befürchtung hunderttausender Israelis, der Demokratie Schaden zufügen würde.

Für uns gilt: Nach allem, was wir Deutschen erlebt und vor allem dann getan haben, als Täter, ist unsere politische Kultur heute durch und durch geprägt von der Erfahrung dieses Scheiterns der ersten deutschen Demokratie. Wir sind sehr sensibel für mögliche Gefährdungen unserer Ordnung und halten sie bei uns keineswegs für allzeit gesichert.

Manche meinen ja, wir könnten uns selbst inzwischen mit mehr demokratischem Selbstbewusstsein und Vertrauen begegnen. Aber wir bleiben vorsichtig und haben eben gelernt: Es bedarf unser aller Eintreten als Bürgerinnen und Bürger, um die liberale Demokratie lebendig und stark zu halten!

Wir haben übrigens auch gelernt, oder sollten gelernt haben, die zähe Energie nicht zu unterschätzen, mit der zur Gewalt entschlossene Machthaber ein ihnen verhasstes inneres oder äußeres System beseitigen – Schritt für Schritt, wenn man ihnen nicht entgegentritt.

Appeasement nützt nichts, das haben wir bitter erfahren. Deshalb unterstützen wir heute die Ukraine in ihrem unfassbar tapferen Kampf gegen den verbrecherischen russischen Angriff!

Was wir vielleicht noch viel besser lernen müssen – und was eine schöne und wichtige Aufgabe gerade auch für dieses Haus ist: Die Weimarer Republik ist eine Phase der deutschen Geschichte, an die wir auch mit Freude und Dankbarkeit denken dürfen! Sie hat es nicht verdient, nur aus dem Blickwinkel ihres Endes und dessen, was dann kam, beurteilt zu werden.

Wir verdanken der Weimarer Republik die erste parlamentarische, rechtsstaatliche, sozialstaatliche Demokratie auf deutschem Boden. Sie ist ein wertvoller Teil unserer nicht eben üppigen Freiheitsgeschichte. Ihre Verfassung ist der große deutsche Freiheitstext zwischen Paulskirchenverfassung und Grundgesetz. Ihr Grundrechte-Teil, das im internationalen Vergleich frühe Frauenwahlrecht, die sozialstaatlichen Passagen oder das von ihr entworfene Verhältnis von Staat und Religion – all das wird heute deutlich positiver beurteilt als noch vor Jahren, und ich schließe mich dem gern an. Unsere erste Republik hat große Politiker hervorgebracht, an die wir uns mit Stolz erinnern dürfen – wie Friedrich Ebert, Matthias Erzberger, Gustav Stresemann, Walther Rathenau, Gustav Radbruch als Justizminister oder Hugo Preuß als Vater der Weimarer Verfassung.

Natürlich ist auch die Kultur der Weimarer Republik ein Pfund, mit dem man, mit dem Sie hier in diesem Haus, wuchern können: Architektur und „Bauhaus“, all die Superlative des öffentlichen Lebens und des Freizeitlebens, der Unterhaltungsindustrie, zumal in den großen Städten, die Tanzpaläste mit ihren Live-Orchestern, der aufblühende Sport, der Rundfunk, oder Kino und Film: Hollywood ist später groß geworden mit den sehr oft jüdischen Künstlerinnen und Künstlern der Weimarer Jahre, die vor den Nazis dann flohen.

Weimar: Das ist ein Stück deutscher Demokratiegeschichte, aber auch ein Stück Kunst- und Kulturgeschichte von Weltrang.

Politisch bleibt die Aufgabe – und ich komme zum Schluss –, dass wir Deutschen dieses Lehrstück nie vergessen: Das Lehrstück einer freiheitlichen Demokratie, die der Übermacht widriger Bedingungen, wirtschaftlicher Krisen, politisch-struktureller Hypotheken und mentaler Vorbehalte am Ende nicht gewachsen war.

Bleiben wir demütig und wachsam!
Halten wir die Freiheit, die wir haben, nie für selbstverständlich!
Herzlichen Dank!

‒ Es gilt das gesprochene Wort! ‒