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DokumenttypDocTypeRede | Datum29. November 2022Begrüßungsrede beim Treffen der G7-Justizminister

Begrüßungsrede des Bundesministers der Justiz, Dr. Marco Buschmann MdB, beim Treffen der G7-Justizminister am 29. November 2022 in Berlin

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
verehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,

ich begrüße Sie und Euch sehr herzlich zu diesem ersten Treffen der G7-Justizminister in der Geschichte und in Berlin!

Als Deutschland vor knapp 11 Monaten den G7-Vorsitz übernahm, schien die Welt noch eine andere.

Der verbrecherische russische Angriffskrieg im Herzen Europas hat uns, die liberalen Demokratien, auf vielen Feldern vor neue, und schwierige, Aufgaben gestellt. Denn dieser Angriff zielt natürlich zuerst auf die Ukraine. Aber er gilt der Freiheit und der Selbstbestimmung überhaupt.

In dieser schlimmen Situation kämpfen, leiden, und sterben vor allem die Ukrainerinnen und Ukrainer. Auch russische Soldaten sterben in großer Zahl – das, so hoffen wir, sollte immer mehr Russinnen und Russen gegen diesen Krieg aufbringen.

Seit Februar werden in der Ukraine täglich Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Zivilisten werden angegriffen, getötet, gefoltert. Überlebenswichtige Infrastruktur wird gezielt zerstört – auch bittere Minusgrade, so will es offenbar Russland, sollen töten. Unvorstellbare Verbrechen geschehen; ganz nah von hier – und zugleich wie aus einer überwunden geglaubten Vergangenheit des 20. Jahrhunderts.

Immanuel Kant hat 1795 in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ die Bedingung genannt, unter der wir allein hoffen dürfen, dass wir uns einem völkerrechtlichen Friedens-Zustand annähern: nämlich „dass die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird“.

Wir fühlen sie, liebe Freundinnen und Freunde!

Und wir werden diese Verbrechen nicht einfach hinnehmen! Wir werden die Täter zur Verantwortung ziehen!

Wir haben uns als Justizminister in diesem Format noch nie getroffen. Es gab bisher keine G7-Justizministertreffen. Die Zusammenarbeit bei der Verfolgung der Kriegsverbrechen in der Ukraine ist ein trauriger Anlass für dieses neue Format. Aber wann, wenn nicht jetzt!

Wir wollen unsere Ermittlungs-Zusammenarbeit in den Beratungen heute intensivieren und noch besser koordinieren. Wir wollen zeigen: Gegen diesen Angriff Russlands auf das Recht rücken auch wir Justizminister der großen liberalen Demokratien enger zusammen!

Ich danke Ihnen und Euch, dass Ihr meiner Initiative und Einladung so schnell und gern gefolgt seid!

Und ich bin außerordentlich dankbar, dass ebenso hier sind, und uns berichten werden:
Der Justizminister der Ukraine, Denys Maljuska – herzlich willkommen, lieber Denys!
Der ukrainische Generalstaatsanwalt, Andriy Kostin – herzlich willkommen, lieber Andriy!
Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Karim Khan – herzlich willkommen, lieber Karim!
Und der deutsche Generalbundesanwalt Dr. Frank – herzlich willkommen auch Ihnen!

Wir werden hier miteinander arbeiten, und die Expertise unserer Gäste nutzen – um uns am Ende auf einen Katalog von Maßnahmen zu verständigen, mit denen wir unsere verschiedenen Ermittlungsverfahren zu Kriegsverbrechen besser aufeinander abstimmen können.

Ich war Anfang November in der Ukraine. Gerade als Bürgermeister Klitschko mir einige Gebäude mit massiven Kriegsschäden zeigte, ertönte ein Luftalarm. Das laute Kreischen der Sirene war erschreckend – und die Gefahr des Krieges in dieser Sekunde noch einmal viel spürbarer. Viele Menschen zogen sich in Gebäude zurück, aber viele gingen auch einfach ihrem Alltag weiter nach. Das hat mich noch einmal erschreckt, denn für die Menschen ist die ständige Bedrohung offenbar schon zum gelebten Alltag geworden.

Dass Angst und Schrecken das Leben der Menschen in der Ukraine prägen – das können wir nicht hinnehmen.

Und deshalb stehen wir an der Seite der Ukraine bei ihrem Kampf gegen diesen grausamen Angriffskrieg Russlands – auch, indem wir alles tun, damit die geschehenen Kriegsverbrechen geahndet werden. Aber auch darüber hinaus.

Und – auch das sollten wir aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts gelernt haben: Wenn man es mit einem Diktator zu tun hat, der explizit ein territoriales Expansionsprogramm verfolgt, wird Appeasement-Politik leider nicht erfolgreich sein. Appeasement-Politik versteht ein solcher Diktator als Einladung, mit Aggression und Rechtsverletzung fortzufahren.

Ich habe das hier bei uns im Land vor Wochen so deutlich gesagt; und ich will es hier so deutlich wiederholen: Das Festhalten an Nord-Stream-2 war als Antwort auf die Annexion der Krim 2014 – mit dem Wissen von heute – der deutsche Beitrag zum Ausbruch des Ukrainekrieges. Ich finde, es ist unsere Pflicht, dieser Wahrheit ins Auge zu sehen und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen!

Nur wenn die Staatengemeinschaft Russland jetzt in die Schranken weist, haben Freiheit und Sicherheit in der Welt eine Zukunft!

Liebe Freundinnen und Freunde,

Recht ist keine Schönwetterveranstaltung.
Recht beweist seine Kraft gerade im Konflikt.

In diesen Zeiten ist die Herrschaft des Rechts kein Selbstläufer.

Der Neoautoritarismus glaubt, der freien Welt beweisen zu können, dass Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit nichts zählen; dass das Recht schwach sei und die Idee der Menschenrechte von Schwächlingen stamme.

Der Neoautoritarismus glaubt, wir würden unter militärischem und wirtschaftlichem Druck Abstriche vom Recht machen; er glaubt, wir würden Gerechtigkeit und Völkerrecht billiger Energie unterordnen; er glaubt, wir, die liberalen Demokratien, würden uns entzweien unter diesem Druck.

Doch er hat sich getäuscht. Die Welt ist einig wie nie gegen den verbrecherischen Angriffskrieg in der Ukraine.

Die Verurteilung, die die russische Verletzung des Gewaltverbots gefunden hat, ist international fast universell: 141 Staaten stimmten im März für eine entsprechende Resolution der UN-Vollversammlung, bei 5 Gegenstimmen und 31 Enthaltungen – noch zwei mehr Staaten, 143, waren es Anfang Oktober bei der Verurteilung der Annexion ukrainischer Gebiete. Vor zwei Wochen hat die UN-Generalversammlung mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit die Grundlage für einen Entschädigungsmechanismus gelegt, bei nur 13 Gegenstimmen.

Die NATO ist einig und entschlossen. Europa ist einig. Gerade in Prag haben sich 44 Staaten im Format einer „Europäischen Politischen Gemeinschaft“ an die Seite der Ukraine gestellt. Beispiellose Sanktionen sind erlassen – und setzen Putins Regime zu.

Und das Recht arbeitet.
Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs ermittelt wegen Kriegsverbrechen in der Ukraine.
Der deutsche Generalbundesanwalt ermittelt. Wir stärken ihn gerade für diese Aufgabe mit neuen Ermittlungseinheiten.
Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft vor Ort weist im Augenblick fast 50.000 Verfahren auf, die größtenteils Kriegsverbrechen betreffen.
Wir werden alle drei hören.
Justizbehörden in den G7-Staaten haben die Arbeit aufgenommen, vielleicht berichtet Ihr nachher kurz davon, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Auch Nichtregierungsorganisationen leisten in der Ukraine unersetzliche Arbeit.

Wir zeigen: Das Völkerrecht steht eben nicht nur auf dem Papier.

Diese Verbrechen, die die Menschheit als Ganzes berühren, werden wir auch als Menschheit ahnden – auch wenn sie nicht bei uns stattfinden und auch wenn keiner unserer Staatsbürger Täter oder Opfer ist!

Diese Ermittlungsarbeit wird uns auf Dauer beschäftigen. Es wird viele Jahre brauchen, Tausende von Hinweisen auszuwerten und dann als gerichtlich verwertbare Beweise digital vorzuhalten – und zwar über Jahrzehnte: Bei Kernverbrechen des Völkerrechts gibt es bekanntlich keine Verjährung.

Ich bin sicher: Wir werden am Ende Verfahren wegen Kriegsverbrechen vor dem Internationalen Strafgerichtshof auch gegen die höhere russische Führungsebene sehen. Wir werden Täter verhaften, wenn sie nach Europa kommen. Wir werden ein Russland nach Putin aber auch auffordern, mutmaßliche Kriegsverbrecher nach Den Haag auszuliefern.

Straflosigkeit für die geschehenen Verbrechen wäre eine historische Niederlage für das Völkerrecht. Wir werden alles tun, um sie zu vermeiden.

Wir nehmen in Deutschland – schon vor dem Hintergrund unserer Geschichte – diesen Auftrag zur Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen sehr ernst.

Wir haben das in den vergangenen Jahren vor allem gezeigt im Zusammenhang der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die vom syrischen Regime begangen wurden, und bei Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, die in Syrien und im Irak vom sogenannten „Islamischen Staat“ verübt wurden. Vor dem Oberlandesgericht Koblenz ist der weltweit erste Prozess gegen Funktionsträger des Assad-Regimes wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit geführt worden.

Wir – wir alle, die freie Welt – klagen Unrecht an; und wir tun das auf dem Boden des Rechts, nach den strengen rechtsstaatlichen Regeln, die wir immer anlegen.

Wir halten uns an den fair-trial-Grundsatz.
Wir verhandeln und wir urteilen auf dem Boden des Rechts, das die Rechtsbrecher verachtet haben und verachten.
Wir räumen ihnen die ihnen zustehenden Rechte ein, die sie selbst ihren Opfern systematisch verweigerten.
Sie behalten im Rechtsstaat ihre Würde als Person, die sie bei ihren Opfern mit Füßen traten.

Gegen Putins Angriff auf Recht und Gerechtigkeit dürfen wir von unseren eigenen rechtlichen Maßstäben keinen Deut abrücken. Denn sonst hätte Putin schon ein Stück weit gewonnen. Das darf nicht sein.

Liebe Freundinnen und Freunde,

Inter arma silent leges – Wenn die Waffen sprechen, schweigt das Recht; das war einmal, das ist nicht mehr.

Wenn die Waffen sprechen, lässt sich das Recht nicht den Mund verbieten! So muss es heute lauten.

Das Völkerstrafrecht fußt auf einem kraftvollen Versprechen: Völkerrechtsverbrechen dürfen nicht straflos bleiben.

Wir treffen uns hier, weil wir dieses Versprechen halten wollen!

Vielen Dank!

‒ Es gilt das gesprochene Wort! ‒