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DokumenttypDocTypeRede | Datum12. Januar 2022Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann hat im Bundestag die rechtspolitische Agenda dieser Legislaturperiode skizziert.
Erste Rede als Bundesjustizminister im Deutschen Bundestag am 12. Januar 2022
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! „Einigkeit und Recht und Freiheit“ - so heißt es im Lied der Deutschen. Unsere Hymne besingt, wie eng Freiheit und Recht miteinander verwoben sind. Deshalb sage ich an dieser Stelle ganz klar: Das Bundesministerium der Justiz wird immer das Ministerium des Rechtsstaats sein, und es wird immer das Ministerium der Freiheit sein.
Ich sage das in einer Zeit des Zweifels, eines Zweifels auch am Wert der Freiheit. Die einen sorgen sich, ob wir je unsere alte Freiheit ohne all die Beschränkungen, die in der Pandemie leider notwendig sind, vollständig zurückerhalten, und andere wiederum zweifeln an der Freiheit, weil sie meinen, dass die Freiheit des Einzelnen dem gesellschaftlichen Fortschritt im Wege stehe, in der Pandemie, beim Klimaschutz. Sie wünschen sich eine neue Normalität mit weniger Freiheit. Meine Antwort auf diese Zweifel lautet: Es darf keine neue Normalität ohne Freiheit geben. Wenn es Beschränkungen gibt, die heute nötig, aber morgen unbegründet sind, dann müssen sie in Zukunft fallen. Dieses Versprechen möchte ich hier abgeben.
Die Freiheit des Einzelnen steht auch nicht im Widerspruch zum gesellschaftlichen Fortschritt, sondern macht ihn oft erst möglich. Die Pandemie hat es doch gezeigt: Die besten Impfstoffe der Welt sind unter Bedingungen der Freiheit von Forschung, Wissenschaft und Unternehmertum entstanden. Freiheit und Fortschritt gehören untrennbar zusammen, meine Damen und Herren.
Freiheit ist aber nicht Anarchie. Das Zusammenleben von Menschen braucht Regeln. Freiheitlich sind diese Regeln dann, wenn sie die Herausforderungen des Miteinanders lösen und dem einzelnen Menschen die Räume der Privatheit und auch der Selbstentfaltung lassen. Freiheit ist nicht Abwesenheit von Recht; das Recht eröffnet oft überhaupt erst Möglichkeiten zur Freiheit. Dafür aber muss es durchgesetzt werden. Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle nicht nur bei den vielen Beamtinnen und Beamten auf den Straßen bedanken, die dies gewährleisten, sondern auch bei den Richterinnen und Richtern, die in den letzten Wochen manch komische Häme über sich haben ergehen lassen müssen. Wir danken Ihnen für Ihren wertvollen Dienst!
Das sind die Prinzipien, die die Rechtspolitik der neuen Bundesregierung leiten werden. Was das konkret bedeutet, kann ich angesichts meiner kurzen Redezeit natürlich nur anreißen. Ich möchte ein paar Beispiele herausgreifen:
Wir werden die Bürgerrechte stärken und so für eine neue Balance von Sicherheit und Freiheit sorgen.
Das gilt beispielhaft für die Vorratsdatenspeicherung, einen millionenfachen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung. Wir haben hier heute eine absurde Situation: Die Vorratsdatenspeicherung steht formal im Gesetz, Gerichte haben sie aber gestoppt. Sie findet kaum Anwendung, weil die Bundesnetzagentur sie nicht durchsetzt. Die Vorratsdatenspeicherung trägt also kaum etwas zur Sicherheit bei. Diese absurde Situation werden wir politisch beenden. Die Vorratsdatenspeicherung wird gestrichen. Stattdessen geben wir den Ermittlungsbehörden das Quick-Freeze-Instrument in die Hand. Das heißt, wenn es einen Anlass gibt, also den Verdacht eines schweren Verbrechens, dann ordnet ein Richter die Speicherung von Telekommunikationsdaten an, und Ermittler können sie dann auswerten. Das ist rechtsstaatlich sauber und grundrechtsschonend. Das bedeutet Fortschritt für Freiheit und Sicherheit zugleich, meine Damen und Herren.
Ein weiteres Feld, das ich benennen möchte, ist die Gesellschaftspolitik. Wir leben in einer Gesellschaft, die älter ist. Wir leben in einer Gesellschaft, die mobiler ist. Eltern und erwachsene Kinder leben häufig weit voneinander entfernt. In dieser Situation stehen sich Menschen auch außerhalb klassischer Familienbeziehungen bei: Ältere Menschen bilden Wohngemeinschaften, weil sie nicht ins Heim wollen. Alleinerziehende helfen sich bei der Kindererziehung, weil sie berufstätig bleiben wollen. - Diese Menschen leben Verantwortung füreinander. Sie wollen aber nicht Tisch und Bett teilen, sondern vielleicht nur den Tisch. Sie wollen eine andere Art der Wahlverwandtschaft als die Ehe oder die Adoption. Diesen Menschen werden wir mit dem neuen Institut der Verantwortungsgemeinschaft ein Stück rechtliche Sicherheit und Vereinfachung ihres Lebens ermöglichen. Das nimmt niemandem etwas weg, sondern macht es vielen etwas leichter.
Meine Damen und Herren, wir werden auch das Strafrecht auf den Prüfstand stellen. Eines ist für mich heute schon klar: Wenn sich Frauen in einer schwierigen Lebenssituation sachliche Information aus dem Internet besorgen - so ist die Lebenswirklichkeit heute -, dann werden wir sachliche Information von Ärztinnen und Ärzten über einen Schwangerschaftsabbruch nicht weiter unter Strafe stellen. § 219a wird fallen, meine Damen und Herren.
Ich habe über Freiheit gesprochen, auch über Recht; es fehlt noch die Einigkeit zur Trias unserer Hymne. Einigkeit wird es hier im Haus nicht immer geben, und das ist auch gut so. Dies ist das Haus von Rede und Gegenrede. Und trotzdem würde ich mich sehr freuen, wenn auf dem Gebiet der Rechtspolitik vielleicht hin und wieder auch mal Mehrheiten zustande kommen, die nah an Einigkeit reichen. Dafür möchte ich die Hand reichen. Ich stehe für sachliche Debatten immer zur Verfügung.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
Rede auf bundestag.de