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"Im Land herrschen handfeste ökonomische Abstiegsängste"

Im Interview mit dem Handelsblatt betont Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann: Wir sollten alles tun, was Deutschland stärker macht. Mit der Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrecht wollen wir z.B. Einwanderung in den Arbeitsmarkt erleichtern - jedoch nicht in die sozialen Sicherungssysteme. Außerdem äußert er sich zur Digitalisierung der Justiz und dem Bürokratieabbau.

Datum 21. Juli 2023

Im Interview mit dem Handelsblatt betont Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann: Wir sollten alles tun, was Deutschland stärker macht. Mit der Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrecht wollen wir z.B. Einwanderung in den Arbeitsmarkt erleichtern - jedoch nicht in die sozialen Sicherungssysteme. Außerdem äußert er sich zur Digitalisierung der Justiz und dem Bürokratieabbau.

Das Interview wurde vor der Veröffentlichung auf dieser Seite redaktionell gekürzt.

Herr Minister, das Bundesverfassungsgericht hat das Heizungsgesetz vorläufig gestoppt. Hat Sie das überrascht?

Der Stopp des Heizungsgesetzes war sicher eine besondere Entscheidung. In Eilverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gelten allerdings auch besondere Maßstäbe. Es bleibt abzuwarten, wie das Gericht am Ende in der Sache entscheiden wird. Es ist jedenfalls nicht dramatisch, dass der Bundestag erst nach der Sommerpause über das Gesetz entscheiden wird. Denn das Gesetz war ja objektiv nicht dringlich. Es wird erst dann richtig Wirkung entfalten, wenn die kommunale Wärmeplanung umgesetzt ist. Das wird noch ein bisschen dauern.

Warum sollte das Gesetz denn dann im Eilverfahren beschlossen werden, wenn es nicht dringlich war?

Diese Entscheidung hat das Parlament getroffen. Damit wurde dem Wunsch eines Teils der Koalition entsprochen. Grundsätzlich braucht der Bundestag auch sehr schnelle Gesetzgebungsverfahren. Denn auch Demokratien müssen in der Lage sein, schnell und entschlossen zu handeln. Das haben wir bei der Gesetzgebung zur Einspeisung von verflüssigtem Gas gesehen. Es war wichtig, dass das Parlament hier in kürzester Zeit handlungsfähig war.

Aber Bundestagspräsidentin Bärbel Bas warnte schon im März vor einem Schaden für die Demokratie durch zu viele Eilverfahren. Auch Verbände und Gewerkschaften beklagen sich immer wieder über zu kurze Fristen zu Anhörungen bei Gesetzgebungsverfahren. Wie kann es dann dazu kommen?

Als Mitglied der Bundesregierung kann ich die parlamentarischen Abläufe nicht bewerten. Aber als Bundesregierung sind wir natürlich auch an dem Gesetzgebungsverfahren beteiligt. Hier müssen wir nach all der Krisengesetzgebung wieder in den Normalmodus zurückkehren. Erst hatten wir die Coronapandemie zu bewältigen, dann kam es zu dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Darauf folgten die Energiekrise und eine starke Inflation. Auf alle diese Dinge mussten wir schnell und entschlossen reagieren. Aber dieser Krisenmodus darf sich im Gesetzgebungsverfahren nicht einschleifen.

Was heißt das konkret ?

Ausreichende Fristen dienen letztlich der Qualitätssicherung. Ich habe zum Beispiel eine Auswertung für das letzte Jahr gemacht, wie wenig Zeit uns hier im Justizministerium gelassen wurde, um unsere Rechtsprüfungen durchzuführen. Wir haben eine Stichprobe gezogen von 261 Verfahren und festgestellt, dass in 40 Prozent der Fälle andere Ministerien uns Fristen von 24 Stunden oder weniger gesetzt haben. Es ist also kein Wunder, wenn wir das gelegentlich zum Anlass für Kritik nehmen.

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Was folgt daraus?

Ganz einfach: Wir sollten alles tun, was unser Land wirtschaftlich wieder stärker macht, was uns hingegen Substanz kostet, nicht. Das Investitionsklima muss besser werden, der Standort wettbewerbsfähiger. Die Menschen müssen sehen, dass es sich lohnt, hier wieder anzupacken. Eine solche Zuversicht in eine Zukunft mit Wachstum und Wohlstand beseitigt Ängste – sie ist das beste Gegengift gegen den rechten Populismus.

Ist das alles?

Auch das Thema Migration treibt weiter viele Menschen um. Die meisten Bürger finden es gut, wenn Menschen zu uns kommen, die arbeiten und zum Wohlstand des Landes beitragen. Darauf ist unsere Volkswirtschaft sogar angewiesen. Aber sie finden es eben nicht gut, wenn wir Regelungen hätten, die eine systematische Einwanderung in die Nutzung sozialer Sicherungssysteme ermöglichen würden. Diese Feststellung ist kein Populismus, sondern die Kraft der Vernunft. Wenn man einen gut ausgebauten Sozialstaat hat, dann muss man auch kontrollieren, wer einwandern darf. Sonst wird das System möglicherweise überfordert. Wir werden das mit Änderungen im Migrationsrecht sicherstellen und arbeiten entsprechend am europäischen Asylrecht. Mehr Ordnung und klare Regeln, die wir dann auch durchsetzen, trocknen den Nährboden des Populismus am besten aus.

Bundespräsident Steinmeier hat in den vergangenen Wochen die Spitzen der Regierungsparteien ins Schloss Bellevue eingeladen. Er fordert, den Umbruch in der Energiepolitik so zu bewältigen, dass der Zusammenhalt in der Bevölkerung erhalten bleibt. Sehen Sie das Problem?

Der Bundespräsident spricht einen richtigen und wichtigen Gedanken aus. Wir können Politik nicht gegen die gesellschaftliche Mehrheit machen. Wenn wir merken, dass wir an bestimmten Stellen vielleicht zu schnell, zu forsch, zu überfordernd vorgehen, dann ist es gut, einen Moment innezuhalten und vielleicht auch noch mal nachzubessern. Unser Anspruch und unser Ziel müssen sein, eine Politik zu machen, von der wir eine Mehrheit überzeugen können.

Das ist im Moment beim Heizungsgesetz der Fall?

Wir haben erlebt, dass die Leute beim GEG die Sorge vor einer wirtschaftlichen Überforderung hatten. Da wuchs die Angst: „Jetzt zwingt mich der Staat, dass ich im Winter die Heizung rausreißen und wechseln muss.“ Gerade die Eigentümer normaler, selbst genutzter Immobilien fürchteten um ihr Erspartes – und teils um ihr Lebenswerk. Es war deshalb nötig, ja unausweichlich, dass im Parlament das Gesetz vom Kopf auf die Füße gestellt wurde.

Nehmen die Parteien Ängste und Unmut der Bürger nicht ernst genug?

Viele Bürger machen sich Sorgen, ob Deutschland auch noch in ein paar Jahren ein wirtschaftlich starkes und reiches Land ist, das ihnen Chancen bietet, selber ein erfülltes Leben im Wohlstand zu führen. Wir müssen also stärker zum Ausdruck bringen, dass wir darum kämpfen, dass Deutschland auch in Zukunft ein wohlhabendes Land ist.

Wie können Sie als Justizminister den Standort Deutschland nach vorn bringen?

Auch wenn der Justizminister nicht der erste Verantwortliche für die konjunkturelle Entwicklung ist, war es mir wichtig, dass wir da Ehrgeiz entwickeln: Wir haben viel zur Planungsbeschleunigung beigetragen, mit eigenen Gesetzen, aber auch mit der Beratung anderer Ministerien.

Wir treiben die Digitalisierung der Justiz gemeinsam mit den Ländern voran und werden neue Commercial Courts einrichten. Gemeinsam mit dem Bundesfinanzministerium bringen wir ein Zukunftsfinanzierungsgesetz auf den Weg. Wir koordinieren jetzt das Bürokratieentlastungsgesetz. Wenn die gesamte Regierung Wachstum und Wohlstand mehr Priorität beimisst, werden sich mehr Menschen hinter uns versammeln.

Die Koalition rückt also die Wirtschaftspolitik ins Zentrum?

Das empfehle ich uns als Koalition zumindest. Denn ich glaube, das wäre der Lage angemessen. Wir merken, dass die Investitionstätigkeit unter Druck gerät. Wir haben eine technische Rezession. In einer solchen Lage empfiehlt es sich, die Fakten nicht zu ignorieren. Wir sollten mit einer Politik antworten, die Wachstum und Wohlstand für die Zukunft sichert. Darum muss es in der zweiten Hälfte unserer Legislatur gehen.

Wann geht es denn los mit Bürokratieabbau?

Wir sind schon längst dabei: Zunächst haben wir Wirtschaft und Verbände befragt. Die haben uns über 440 konkrete Vorschläge geschickt. Nicht alles können wir umsetzen, beispielsweise, weil sie zum Teil Europarecht betreffen, von dem wir nicht abweichen können. Wir arbeiten jetzt daran, Eckpunkte für das Bürokratieentlastungsgesetz IV zu erstellen, die wir im Sommer vorstellen werden.

Nach den ersten drei Entlastungsgesetzen klagen die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft, die Wirkung sei in der unternehmerischen Praxis wenig spürbar. Braucht Deutschland mehr als nur Klein-Klein?

Man muss ein Problem so ähnlich lösen, wie es geschaffen wurde. Unternehmer berichten von vielen kleinen Übergriffigkeiten im Alltag, die sie als Mikromanagement durch die Politik empfinden. Das vermittelt ihnen das Gefühl, gefesselt zu sein. Sie tragen nicht eine dicke Handschelle, die man einmal lösen kann. Sie sind wie Gulliver durch viele kleine Fäden gelähmt. Und deshalb müssen wir diese vielen kleinen Fäden erst mal durchschneiden und dann anschließend dafür sorgen, dass nicht viele neue entstehen.

Herr Buschmann, vielen Dank für das Interview.