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DokumenttypDocTypeInterviewUndNamensartikel | Datum28. November 2022„Wir werden einen langen Atem haben“
Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann über Deutschlands Rolle bei der Verfolgung von Kriegsverbrechen in der Ukraine, seine Kämpfe mit Innenministerin Nancy Faeser und die Bestrafung von Klimaaktivisten
Kriegsverbrechen in der Ukraine
Wenn an diesem Montag zum ersten Mal die Justizminister der G-7-Gruppe zusammenkommen, werden sie darüber beraten, wie Völkerrechtsverbrechen konsequenter geahndet werden können. Bundesminister Marco Buschmann ist nicht nur Gastgeber des Treffens: Die deutsche Justiz treibt auch eigene Ermittlungen voran
Von Montag an beraten die Justizministerinnen und Justizminister der G-7-Länder in Berlin über die Verfolgung von Kriegsverbrechen in der Ukraine. Gastgeber Marco Buschmann hat auch seinen ukrainischen Kollegen Denys Maljuska und den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes Karim A. A. Khan eingeladen.
SZ: Herr Buschmann, Sie wollen Kriegsverbrechen in der Ukraine konsequent verfolgen. Täter vor Gericht zu bringen aber wird schwierig. Kann beim Treffen in Berlin mehr herauskommen als Absichtserklärungen?
Marco Buschmann: Es muss uns gelingen, die in der Ukraine begangenen Kriegsverbrechen effektiver zu verfolgen. Es ermitteln ja sehr unterschiedliche Stellen: der Internationale Strafgerichtshof, die Ukraine, andere Staaten, auch wir selbst. Wir wollen erreichen, dass zwischen unseren unterschiedlichen Rechtssystemen Beweismittel einfacher ausgetauscht werden können – und dass Zeugen nicht unnötig oft vernommen werden. Dazu kommen wir als Justizminister erstmals in der Geschichte im G-7-Format zusammen. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Wird Deutschland überhaupt gebraucht für die Ermittlungen?
Deutschland hat in seinem Völkerstrafgesetzbuch das Weltrechtsprinzip festgeschrieben: für Kriegsverbrechen, aber auch für Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das heißt, dass wir auch dann strafrechtlich ermitteln können, wenn Deutsche weder als Tatverdächtige noch als Opfer infrage kommen und das Verbrechen auch nicht auf deutschem Boden stattgefunden hat. Wir haben etwa syrische Folterknechte aus dem Geheimdienst von Assad vor Gericht gestellt. Die Bundesrepublik ist hier international vorangegangen.
Die Ukraine hat bisher etwa 45 000 mutmaßliche Kriegsverbrechen registriert, aber es soll nur in gut 200 Fällen einen Anfangsverdacht gegen eine Person geben – und zwölf Urteile. Das ist nicht viel.
Das sollte uns nicht abschrecken – sondern anspornen. Die Verfolgung der Kriegsverbrechen wird uns über Jahre beschäftigen, keine Frage. Aber Kriegsverbrechen verjähren nicht in Deutschland. Wenn wir der Täter habhaft werden, müssen wir vorbereitet sein, ihnen nach den Regeln des Rechtsstaats ihre Verbrechen nachweisen zu können. Da könnten viele Hunderttausend Beweismittel zusammenkommen, die wir systematisch und möglichst digital vorhalten werden. Wir werden einen langen Atem haben.
Oft sind es Nichtregierungsorganisationen, die nach Kriegsverbrechen als Erste mit Augenzeugen sprechen und deren Berichte dokumentieren. Nun bremsen staatliche Stellen sie. Warum?
Diese NGOs machen eine zum Teil wirklich fantastische Arbeit. Wir versuchen ihnen aber klarzumachen, dass sie im Kontakt zu Zeugen oder Opfern nicht versuchen sollten, anstelle von Ermittlungsbeamtinnen und -beamten zu agieren. Wer zusehen musste, wie Menschen ermordet wurden, oder wer selbst Opfer sexueller Gewalt wurde, ist zutiefst traumatisiert. Die Ermittlungspersonen müssen psychologisch extrem gut ausgebildet sein, damit sie den Schaden nicht erhöhen. Und zum anderen müssen diese Vernehmungen so geführt sein, dass sie auch hier den strafprozessualen Qualitätsstandards entsprechen – also dass die Fragen beispielsweise nicht suggestiv sind. Es geht darum, eine möglichst ungetrübte Erinnerung aufzunehmen.
Kriegen NGOs das nicht hin?
Es gibt einen breiten internationalen Konsens, dass professionell geschulte Ermittler die Beweiserhebung und insbesondere die Vernehmungen von Opfern und Zeugen vornehmen müssen. Wir wollen den Kontakt von NGOs zu den Opfern von Kriegsverbrechen nicht unterbrechen. Aber die Konfrontation mit traumatisierenden Ereignissen sollte auf das unbedingt notwendige Maß reduziert werden. Weil es eine wahnsinnige seelische Belastung ist, die Erlebnisse immer wieder zu erzählen. Auf der anderen Seite brauchen wir diese Erinnerungen, weil wir sonst nicht anklagen können. Und wir brauchen sie schnell, weil Psychologen uns sagen, dass sonst Verdrängung einsetzen kann, als Selbstschutzmechanismus der Seele, wenn man so will.
Treiben Sie auch die Aufklärung ukrainischer Kriegsverbrechen voran?
Das Völkerstrafrecht differenziert nicht danach, von wem Kriegsverbrechen begangen werden. Natürlich schließt das auch etwaige Kriegsverbrechen der ukrainischen Seite ein. Aber wir haben gesehen, was in Butscha und Mariupol geschehen ist. Und wir sehen, wie aktuell systematisch die ukrainische zivile Infrastruktur angegriffen wird, auch mit dem Ziel, dass Menschen bei bitterster Kälte in unbeheizten Wohnungen sitzen. Da ist schon klar, dass der krass überwiegende Teil der Taten, bei denen der Verdacht auf Kriegsverbrechen besteht, von denen wir heute wissen, von russischer Seite verübt wurde.
Was sagen Ihre ukrainischen Gesprächspartner zu Ermittlungen gegen Ukrainer?
Ich habe die Ukraine gebeten, dem Römischen Statut beizutreten, das die völkerrechtliche Grundlage für die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof ist. Dort hat man Bedenken. Und es wird mir gesagt, es sei schwer, den Soldaten während eines laufenden Einsatzes zu erklären, dass ihnen nichts droht, wenn sie sich an die offiziellen Einsatzvorschriften halten. Das teile ich nicht. Die Ukraine hat dem Internationalen Strafgerichtshof alle Befugnisse zur Ermittlung erteilt.
Wenn es so schwierig ist, ukrainischen Soldaten klarzumachen, was erlaubt ist im Krieg und was nicht – ist das nicht ein Hinweis, dass es auch dort Kriegsverbrechen geben könnte?
Das humanitäre Völkerrecht gilt für jede Konfliktpartei. Und wer ein völkerrechtliches Verbrechen begeht, ist dafür strafrechtlich verantwortlich. Aber ich will nochmals erinnern: Die Ukraine verteidigt sich gegen einen rechtswidrigen brutalen Angriffskrieg, und der größte Teil der Kriegsverbrechen, von denen wir wissen, wird von russischen Einheiten begangen.
Sie streiten mit Nancy Faeser seit Monaten über die Vorratsspeicherung und über die Strafrechtsreform. Geht Ihnen die Kollegin auf den Geist?
Frau Faeser und ich haben eine persönlich sehr gute Arbeitsbeziehung. Trotzdem muss man feststellen, dass es bei einigen Themen unterschiedliche fachliche Zugänge gibt.
Zum Beispiel bei der Ersatzfreiheitsstrafe. Sie wird angeordnet, wenn Straftäterinnen und Straftäter eine Geldstrafe nicht zahlen. Für jeden Tagessatz, zu dem sie verurteilt wurden, gibt es dann einen Tag Haft. Sie wollen diese Umrechnung ändern: Für jeden Tagessatz soll es nur einen halben Tag Gefängnis geben. Innenministerin Faeser lehnt das ab.
Ja, leider. Das wundert mich auch. Die Übersetzung von einem Tagessatz Geldstrafe in einen Tag Haft ist ein tiefer Grundrechtseingriff. Dieses Störgefühl haben Juristen seit Langem. Nach vielen vergeblichen Anläufen meiner Vorgänger haben wir jetzt die Chance, das Problem zu lösen. 13 von 16 Bundesländern unterstützen diese Pläne. Wir wollen damit die Resozialisierung der Täter nach vorne rücken. Aber im Innenministerium besteht die Sorge, dass von der Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafe möglicherweise die Falschen profitieren: Reichsbürger, die Geldstrafen nicht bezahlen, weil sie unser Land nicht anerkennen. Oder Männer, die wegen häuslicher Gewalt verurteilt sind. Die Delikte, um die es geht, kommen aber aus ganz anderen Bereichen. Da geht es um kleine Betrügereien, Ladendiebstähle oder Beförderungserschleichung.
Es geht aber auch um Partnerschaftsgewalt. Das ist keine Bagatelle.
Klar, das ist unstreitig. Aber das ist ein verschwindend geringer Deliktsbereich unter den Taten, um die es geht. Wir können anhand der Statistik zeigen, dass Leute mit Ersatzfreiheitsstrafen zu fast 90 Prozent nicht in Partnerschaften leben. Im Regelfall sind es Menschen, die ihr gesamtes Leben nicht wirklich in geregelten Bahnen führen. Sie bräuchten vor allem Hilfe. Im Gefängnis sind sie häufig nicht an der richtigen Stelle. Das, was das Gericht als angemessene Strafe betrachtet hat, war ja auch nur eine Geldstrafe, gerade keine Freiheitsstrafe. Ich würde mir wünschen, dass Frau Faeser und ich uns gemeinsam über die Statistik beugen und nach den Zahlen richten. Die sind eindeutig.
Klimaaktivisten kleben sich an Bildern und Straßen fest. Nun wollen Sie prüfen, ob es da Strafbarkeitslücken gibt. Sind Sie schon weiter?
Nach Aktionen im Straßenverkehr gab es bereits Verurteilungen. Da reicht das strafrechtliche Instrumentarium aus. Mir geht es vor allem um Museen. Die Aktivisten suchen sich dort bewusst Kunstwerke aus, die hinter Glas sind, um dann sagen zu können, das sei keine vorsätzliche Sachbeschädigung. Aber natürlich können die Bilder trotzdem beschädigt werden, etwa, wenn Farbe seitlich ins Bild eindringt.
Fahrlässige Sachbeschädigung ist aber nicht strafbar.
Stimmt – von Sondertatbeständen abgesehen. Darum könnte man erwägen, ein Delikt zu schaffen, wonach man im Museum Kunstwerke nicht bewerfen oder sonst wie gefährden darf. Sonst leihen Sammler wertvolle Stücke nicht mehr an öffentliche Sammlungen aus oder Stücke aus öffentlichen Sammlungen wandern ins Depot. Das ist nicht akzeptabel. Wir werden sehen, ob die Gerichte in diesen Fällen eine versuchte Sachbeschädigung erkennen. Dann würde sich eine Rechtsänderung wohl erübrigen.
[Es handelt sich um eine gekürzte Fassung des Interviews vom 28.11.2022]