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DokumenttypDocTypeInterviewUndNamensartikel | Datum12. November 2022Was gefährdet die Demokratie mehr: zu viel Meinungsfreiheit oder zu viel Überwachung?

Justizminister Marco Buschmann hat schon innenpolitisch viel zu tun. Und dann ist da noch ein weiteres großes Thema: Kriegsverbrechen

Interviewer Thomas Tuma und Lara Wernig

Das Wildeste an Marco Buschmann scheint zunächst das Kunstwerk hinter seinem Schreibtisch im Berliner Justizministerium zu sein. Die Arbeit „Phoenix Cloud No. 2“ von Franz Josef Baur sieht aus, als sei farbiges Papier auf der Wand explodiert. Buschmann selbst bekommt dagegen bisweilen den Spitznamen „Büroklammer“, was ihm schlicht nicht gerecht wird. Im Gespräch mit FOCUS zeigt sich schnell, dass der gebürtige Gelsenkirchener eine große Dynamik und auch Kampfbereitschaft mitbringt. Offene Baustellen, Probleme und Ärger hat der Minister eh genug.

Herr Buschmann, als Vertreter der deutschen Regierung sind auch Sie zuletzt in die Ukraine gereist. Zugleich kämpfen Sie mit großer Verve gegen russische Kriegsverbrechen. Warum muss sich darum überhaupt der deutsche Justizminister kümmern?

Die wichtigsten Rollen spielen bei diesem Thema natürlich die ukrainischen Behörden und der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag. Andererseits genießt Deutschland weltweit eine hohe Reputation bei der Verfolgung von Kriegsverbrechen, weil wir so konsequent wie kaum ein anderes Land das sogenannte „Weltrechtsprinzip“ umgesetzt haben.

Das besagt, dass jemand, der andernorts Kriegsverbrechen begangen hat, hierzulande vor Gericht gestellt werden kann, wenn er in Deutschland aufgegriffen wird.

Genau, und das war in der Vergangenheit bereits sehr erfolgreich. Wir haben in Deutschland etwa Folterknechten Assads den Prozess gemacht, als wir ihrer habhaft geworden sind.

Erstmals überhaupt findet Ende November ein zweitägiges Treffen der G7-Justizminister statt. Mit Ihnen als Gastgeber in Berlin. Worum wird es da gehen?

Auch da werden wir schwerpunktmäßig über die Verfolgung von Kriegsverbrechen sprechen. Für deren Ahndung brauchen wir ein effizientes Netzwerk und internationale Abstimmung. Ich freue mich, dass das auf großen Anklang stößt.

Viele innenpolitische Ziele, die sich der Koalitionsvertrag einst setzte, wurden derweil durch Krieg und Krise erst mal verschoben. Sie wollten etwa die Entbürokratisierung vorantreiben. Was wurde daraus?

Das wurde ja eher noch wichtiger in diesem Jahr. So, wie wir derzeit sehr schnell die Energie-Infrastruktur unseres Landes umbauen, sollten wir auch andere Projekte angehen. Die Genehmigungsverfahren der neuen LNG-Terminals zeigen: Wir können auch zügig arbeiten.

Der Bau einer Eisenbahnstrecke dauert aber bislang mit allen juristischen Verfahren 20 Jahre. Wie weit sind Sie vor diesem Hintergrund mit dem geplanten Digitalpakt für die Justiz?

Wir wollen einen Pakt für den digitalen Rechtsstaat auflegen. Mit bis zu 200 Millionen Euro wollen wir vor allem die Länder bei der Digitalisierung der Justiz unterstützen. Wir müssen in allen Bereichen schneller und agiler werden. Es nutzt ja nichts, drei digitale Schritte aufzusetzen, wenn dazwischen noch ein analoger Prozess mit viel Papier bremst. Volker Wissing, mein FDP-Kollege im Digitalministerium, versucht das auch mit neuen digitalen Regeln für den Wohnungsbau. Das bisherige Prozedere ist schlicht unhaltbar. Zudem habe ich eine Reform der Verwaltungsgerichtsordnung vorgelegt, um Planungsprozesse zu beschleunigen. Wir müssen als Staat effizienter werden.

Fehlt’s an Geld oder Willen?

Geld allein wird es jedenfalls nicht richten. Digitalisierung ist kein Beschaffungsprozess in der Art: Man kauft eine graue Kiste, stellt die auf den Tisch und sagt: „Jetzt sind wir digitalisiert.“ Digitalisierung braucht einen Kulturwandel, in dem alle Arbeitsabläufe kritisch hinterfragt werden müssen. Digitalisierung ist mehr, als alte analoge Prozesse eins zu eins digital abzubilden. Das erfordert vor allem die Veränderung von Gewohnheiten. Da wird es am schwersten. Aber am Ende geht es nicht ohne diese Transformation auf allen Ebenen.

Jüngst haben Sie Paragraf 130 im Strafgesetzbuch verschärft, der bislang eher die Holocaust-Leugnung ahndete. Nun steht „Volksverhetzung“ generell unter Strafe. Wer definiert künftig, was das ist?

Der Begriff der „Volksverhetzung“ ist erstens nicht neu, es handelt sich um die amtliche Überschrift der Strafnorm. Im eigentlichen Normtext wird das Wort nicht verwendet. Und zweitens muss die Äußerung in einer Weise geschehen, die geeignet ist, zu Hass oder Gewalt aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören.

Eben. Da ist doch mit einer Klage-Inflation zu rechnen.

Nein, das mag zwar für juristische Laien recht wolkig klingen, aber für Fachleute zieht das sehr hohe Hürden. Da muss schon sehr viel zusammenkommen, bevor von Volksverhetzung die Rede sein kann. Wichtigster Hintergrund ist, dass wir Verpflichtungen aus EU-Recht, die die Vorgängerregierungen eigentlich schon hätten erfüllen müssen, mit dieser Präzisierung entgegenkommen. Die öffentliche Debatte dazu halte ich für einen Sturm im Wasserglas. Im Wesentlichen ging es um die Vermeidung eines Vertragsverletzungsverfahrens, das den Steuerzahler Millionen Euro hätte kosten können.

Wie erleben Sie die Klimaschützer, die derzeit Straßen blockieren oder Kunstwerke attackieren?

Die Grenze ist relativ klar, auch wenn Demonstrationen immer möglich sein müssen und auch ein bisschen um Aufmerksamkeit buhlen dürfen.

Wo hört der Ökoweckruf auf und beginnt schlichte Kriminalität?

Vertreter der „Letzten Generation“ brechen mit ihren Aktionen das Recht, etwa als zuletzt im Potsdamer Museum Barberini ein Monet mit Kartoffelbrei beworfen wurde. Dabei ist offenbar zumindest am Rahmen des Bildes erheblicher Schaden entstanden. So was kann nicht nur zivilrechtliche Folgen haben. Wer Eigentum anderer beschädigt, begeht eine Straftat.

Warum lassen die deutschen Ordnungsbehörden die Aktivisten bislang weitgehend ungestraft davonkommen?

Ich sehe das nicht so eindeutig. Ja, die Zahl der Vorfälle wächst. Aber die Staatsanwaltschaften müssen diese Fälle rechtlich prüfen. Das wird ein wenig dauern, bis man sich ein Bild machen kann. Ich setze mich sehr dafür ein, die unabhängige Justiz jetzt erst mal ihre Arbeit machen zu lassen.

Derweil drohen die Ökokämpfer der „Letzten Generation“ schon mit Ausweitung ihrer Aktionen. Was können Sie als Justizminister tun?

Gefahrenabwehr ist Aufgabe der Polizei und damit in der Zuständigkeit der Länder. Ich gehe davon aus, dass die Innenminister das im Blick haben. Wir als Bundesjustizministerium beobachten die Lage genau. Sollten wir den Eindruck gewinnen, dass es strafrechtliche Lücken gibt, würden wir handeln.

Sie haben sich kürzlich via Twitter „ein paar Gedanken zur zunehmenden Polarisierung“ in der Gesellschaft gemacht. Wird die nicht von Twitter selbst geradezu befeuert?

Das ist mir zu simpel. Natürlich gibt es dort viele Fake-Accounts, Trolle oder Bots. Aber das sind nicht alle. Auch normale Menschen, die mal sauer sind, müssen die Möglichkeit haben, ihren Frust zu äußern, solange sie andere nicht beleidigen. Diese Plattformen erfüllen eine wichtige gesellschaftliche Funktion.

Wenn der neue Twitter-Eigentümer Elon Musk nun schon selbst mit Fake News in Erscheinung tritt, ist das ein Fall für den Bundesjustizminister?

Ich bin kein Zensor und will auch keiner sein. Ein Eigentümerwechsel ist erst mal etwas Unproblematisches. Aber für Plattformen gibt es Regeln, wie etwa den neuen Digital Services Act auf europäischer Ebene. Da muss es zum Beispiel eine Melde-Infrastruktur geben für Aussagen, die rechtswidrig oder strafbar sind. Egal, wem Twitter gehört.

Kann es also sein, dass Twitter in Europa künftig die Wortmeldungen des eigenen Eigentümers zensieren muss?

Würde Herr Musk theoretisch etwas sagen, das strafbar ist, kann es eine Löschpflicht für das Unternehmen geben. Das ist aber nichts Besonderes, weil für ihn die gleichen Regeln gelten wie für jeden anderen auch. Justitia ist blind für die Person. Für sie sind vor dem Gesetz alle Menschen gleich.

Sie selbst haben auf Twitter über 88 000 Follower. Schon mal überlegt, die Plattform zu verlassen?

Nein.

Oder anders: Ist Twitter nicht eher Teil des Problems als der Lösung?

Ich fände es falsch, diese Plattformen denen zu überlassen, die nur schlechte Laune oder Falschnachrichten verbreiten wollen. So einen Erfolg gönne ich denen schlicht nicht.

Was gefährdet die Demokratie mehr: zu viel Meinungsfreiheit oder zu viel Überwachung?

Zu viel Meinungsfreiheit kann es eigentlich nicht geben, auch wenn sie ihre Grenzen in der Achtung anderer Rechtsgüter findet. Schwierig finde ich, dass zunehmend nicht nur über Meinungen gestritten wird, sondern dass uns gemeinsame Standards für die Suche nach Wahrheit verloren gehen. Da gab es früher präzisere Standards, welchen Quellen und welchen Prüfungsverfahren man vertrauen kann. Die Flutung der öffentlichen Debatten mit Verschwörungstheorien und „alternativen Fakten“ aller Art macht mir Sorgen.

Sie twittern selbst viel. Wie oft bekommen Sie da schlechte Laune?

Der Kampf um das Wahre und Gute ist kein Wohlfühlprogramm. Das wissen wir in der Politik schon länger.

Ihr Credo ist: „Nicht die Freiheit muss sich begründen, sondern jeder Eingriff in Freiheit und Grundrechte muss begründet werden.“ Gerieten Sie da als Minister nicht schon mal in Zwickmühlen?

Das ist normal. Man kriegt ja dauernd gut gemeinte Vorschläge – von anderen Politikern, Initiativen oder auch von Bürgern. Natürlich muss man sich damit ernsthaft auseinandersetzen und auch häufig erklären, warum man bestimmten Vorschlägen nicht folgt. Man arbeitet in einem ständigen Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen und ist latent begründungspflichtig. Das muss aber auch so sein. Begründungspflicht ist die Kehrseite demokratischer Transparenz.

Begründungspflichtig bleiben auch Corona-Maßnahmen, die weiterhin ein Streitpunkt sind zwischen Ihnen und Ihrem Kabinettskollegen, SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach, oder?

Es ist bekannt, dass es da gelegentlich unterschiedliche Zugänge zu dem Thema gibt. Ich rechne mir durchaus mit an, dass wir im Frühjahr Regeln verabschiedet haben, die uns seither ein relativ normales Leben ermöglichen.